Stellungnahme der christlichen Profilgemeinde Die Nächsten[1]

zur Anhörung 

des Hauptausschusses der Stadtverordnetenversammlung/SVV der Landeshauptstadt Potsdam am

Freitag 24. Januar 2020

betreffend die Beschlussvorlage des Oberbürgermeisters/OB zum

Kuratorium der Stiftung Garnisonkirche

  

 

Das Aussehen des Himmels wisst ihr zu deuten,

die Zeichen der Zeit aber versteht ihr nicht? (Mt 16, 3b)

 

 

         Einige Vorbemerkungen unserer christlichen Profilgemeinde

Die Garnisonkirche war stets die Kriegskirche Preußens und des Deutschen Reiches. Damit war sie keine christliche Kirche, sondern eine "gotteslästerliche Bude" (Christoph Dieckmann/Die Zeit). Dort wurden sämtliche Kriege Preußens/Deutschlands 'christlich' vorbereitet, gerechtfertigt und verherrlicht. Im nationalsozialistischen Deutschland galt die Garnisonkirche als die "Geburtsstätte des Dritten Reiches". Aber auch davor war das Geschehen an und in der Kirche keinesfalls "ambivalent", wie Befürworter ihres Wiederaufbaus behaupten. Diese 'Kirche' diente unzweideutig Kriegen, sie war prototypisch für die Segnung von Soldaten und Waffen, und sie war der Zentraltempel des folgenreichen preußisch-deutschen Militarismus.

Unsere Evangelische Kirche machte und macht sich an diesem Ort ungesühnt schwerwiegend schuldig. Heute sieht sie sich hier vornehmlich als Opfer und Lehrerin, die andere schuldig spricht und belehrt.

· Die Garnisonkirche wurde nicht zeitweilig missbraucht – in ihr und um sie herum wurde anhaltend Missbrauch getrieben und Jesus Christus faktisch geleugnet.

 

         Beschlussvorlage zur Bebauung des Areals der ehemaligen Garnisonkirche

Die wesentliche Voraussetzung der Beschlussvorlage wird lediglich behauptet, denn sachlich besteht keine Notwendigkeit, ein Gebäude anstelle des Kirchenschiffs vorzuschlagen. Der OB hat den Auftrag (14/SVV/0708), auf die Auflösung der Stiftung hinzuwirken. Das ist der denkbar weitestgehende und jüngste Beschluss in der Sache. Der OB hat diesen Auftrag noch nicht erledigt.

· Die Beschlussvorlage des OB steht im Widerspruch zur Beschlusslage. Das hat bereits zu neuen Spannungen in der Stadt geführt.

Diese Beschlussvorlage schwächt zudem die städtische Position in der Stiftung Garnisonkirche. – Potsdam ist nicht einfach Mitglied im Kuratorium der Stiftung, zuerst ist die Stadt privilegiert als herausgehobene Stifterin. Sie hat mit dem Garnisonkirchen-Grundstück den bei weitem größten Beitrag zum Stiftungsvermögen geleistet, der das Agieren der Stiftung überhaupt erst ermöglicht. Die kirchlichen Beiträge zum Stiftungsvermögen sind dagegen fast vernachlässigbar. Daher darf die Stadt – mindestens moralisch – eine herausragende Stellung in der Stiftung und für deren Auflösung beanspruchen. Dem ist der OB bisher nicht gerecht geworden. Dabei könnte der OB selbst die Rückgabe des Garnisonkirchen-Grundstücks ins Gespräch bringen, solange die Stiftung in in herrschaftlicher Manier agiert.

· Die Bestätigung der Beschlussvorlage käme einer kommunalen Selbstbeschneidung gleich.

 

Der bestehende Auftrag des Oberbürgermeisters

· Das vom OB formulierte Unbehagen ist unserer Ansicht nach konstruiert. Er befindet sich nicht in einer widersprüchlichen Beschlusslage, die durch einen neuen Beschluss der SVV geklärt werden müsste. Der angestrebte Beschluss würde/soll das klare BürgerInnenvotum konterkarieren und die städtischen Gestaltungsmöglichkeiten beschneiden.

· Die Bestätigung der Beschlussvorlage wäre eine Provokation der Stadtgesellschaft und wird wahrscheinlich ein neues Bürgerbegehren initiieren und Unfrieden in die Stadt tragen.

Der vorgelegte Entwurf hätte im Vorfeld mit den widerstreitenden Initiativen offen besprochen und besser durchdacht werden sollen. So wird lediglich versucht, einen offenen Gesprächsprozess vorzuspiegeln. Dennoch kann dieser Prozess hilfreich sein, wenn er jetzt nicht sogleich Fakten schafft, sondern wenn der eingeleitete Prozess mit dem Ziel fortgesetzt wird, mögliche Schnittmengen der Kontrahenten auszuloten. 

· Eine neue Beauftragung des OB ist unter den gegebenen Umständen nicht erforderlich. Vielmehr ist der Turmbau zu unterbrechen, um die Stadt befrieden zu können.

 

         Der Ort, dessen endgültige Gestaltung nicht akut ist

Der OB hat eine Diskussion eingeleitet, die vom Wesentlichen – dem hochproblematischen Turmbau – ablenkt und ohne Not ein weiteres kommunales Konfliktfeld eröffnet. Solange die Finanzierung des Turmbaus, die künftige Turmunterhaltung und Bedienung von Krediten ungewiss sind, ist jede Debatte über ein Jugendbegegnungszentrumrealitätsfremd. – Soll so der öffentliche Druck gegen den Turmbau verringert werden?

· Das Areal des ehemaligen Kirchenschiffs sollte künftigen Generationen als Gestaltungsraum offen stehen, für ihre Lehren aus der Geschichte, die wir ihnen gerade bereiten.

 

         Der geplante Abriss des 'Rechenzentrums'

Die Frage nach dem Fortbestand des Rechenzentrums legt die Frage nach der Gestaltung des gesamten Areals nah. Der aktuelle Bau des Garnisonkirchturms vertieft eine Spaltung Potsdams. Hier fordern wir mit vielen Anderen die entsprechende Änderung des Bebauungsplans.

· Das vorgebliche Versöhnungsprojekt erzeugt Unversöhnlichkeit.

Wer vom Unrecht beim Abriss der Heilig-Kreuz-Kirchenruine (ehem. Garnisonkirche) spricht, sollte sich des drohenden Unrechts für den Fall des Abrisses eines voll belegten und belebten Gebäudes aus der DDR-Zeit (Rechenzentrum) bewusst sein.

Wir unterstützen den Erhalt des Rechenzentrums. Auch dafür kann kommenden Generationen die Deutungshoheit überlassen werden. Wir haben unsere Geschichte, wie die Auseinandersetzungen zeigen, noch nicht genügend verstanden, um sie selbstgefällig 'abzuschaffen'. Inzwischen keimt die Einsicht als Konsens:

· Identität stiftende Gebäude sollten in unserer Zeit nicht bereits wieder abgerissen werden, wie es mit der Heilig-Kreuz-Kirchenruine geschah. Das wäre als Rachearchitektur zu bezeichnen.

 

 

         Der starke Bruch am Turm fehlt noch

Wir fordern gemeinsam mit vielen Anderen einen starken Bruch am Turm, eine Änderung der Baupläne, um die Stadt und die Christen zu befrieden und rechte Nationalisten und Militaristen mit einem verwandelten Äußeren zu befremden. Die Arbeit in der Nagelkreuzkapelle leistet dies nicht und würde es im Turm noch weniger leisten.

Das kaum erfassbare Bibelzitat im Sockel des Turms ist kein Bruch sondern fortgesetzter Missbrauch. Der überbordende Gebrauch von Bibelzitaten und deren Missbrauch in der Vergangenheit der Garnisonkirche ist genau eins der gravierenden Probleme an diesem Ort.

· Wir fordern einen Baustopp zur Überarbeitung der Hardware (Turm), damit diese nicht mehr mit beliebiger Software(z.B. geschichtsrevisionistischer Art) genutzt werden kann.

 

         Der gewaltige Turm und sein langer Schatten

Ein 88 m hoher Turm wäre nur aus weitem Abstand in seiner Baugestaltung wahrnehmbar. Aus der Nähe wäre er ein Kollos der Macht. Wir beginnen bereits, seine monströsen Dimensionen zu ahnen. Der Turm würde das menschliche Maß Potsdams sprengen und einen langen Schatten auf sein Umfeld werfen. 

Der militär-monarchistisch verwundete Ort Garnisonkirche muss auch seine Erscheinung wandeln. Und diese darf nicht nur von einer politisch-kirchlich-militärischen Elite oktroyiert werden.

Dieser wunde Ort sollte sich als Lehrstück gelebter Demokratie stufenweise in ein dynamisches städtisches Forum wandeln, an dem der Jugend nicht lediglich das rezente Geschichtsbild doziert wird, sondern an dem alle Generationen miteinander und voneinander für den Frieden in der Welt lernen. Darum fordern wir das Freibleiben dieser Stelle und damit dringend die Überarbeitung des Bebauungsplans. Hier sollte man sich zuerst auf das Zuhören fremder Argumente einzulassen. Wohlgemerkt sollte der Ort des ehemaligen Kirchenschiffs temporär nutzbar sein für Austausch, Streit und künstlerische Interventionen, also für lebendige Auseinandersetzung in der Stadtmitte mit den Themen, die wirklich bewegen. So wird der verwundete Raum, die Leerstelle zum Lehrstück für gelebte demokratische Prozesse. Hier wird nicht nur die Jugend belehrt, sondern alle Generationen.

 

         Von einer Hütte der Streitkultur zum domus autem cives in posterum[2]

Wir empfehlen mittelfristig neben einem stark gebrochenen Turm ein temporäres Gebäude – z.B. ein hölzernes Amphitheater wie in Berlins Mitte als populären Ort der Gelegenheiten für noch fällige Auseinandersetzungen um die unverheilten Wunden Potsdams und um die Schuld, die sich mit unserer Stadt verbindet. Also nicht nur ein Ort für unser Wohlgefühl sondern eher für das Wohlgefühl künftiger Generationen. Mit einem Forum der Streitkultur wäre ein Ort zu schaffen, an dem Argumente ausgetauscht werden, die allerdings nicht vollends den jetzigen Wünschen und Vorlieben gehorchen, sondern immer auch im Hinblick auf künftige Generationen gefasst werden. Das würde sämtliche Diskussionen in der Stadt auf eine neue Ebene heben. Hier sind dann nicht mehr die eigenen Interessen im Fokus sondern werden abgetreten zugunsten von Ideen, die in der Zukunft entstehen dürfen. Hier wird Raum für künftige Gestaltung und für neue Ideen freigehalten und nicht auf Beschlüsse aus längst überholten Zeiten gepocht. Es kann ein Raum für den Prozess des steten Wandels entstehen. Gerade solch ein Ansatz kann in unserer Zeit ein gutes und demokratisches Mittel sein, um extremistischen Tendenzen lebendig und authentisch zu begegnen. 

· Hierzu ist es wichtig, das wertschätzende Zuhören, das echte Streiten zu erlernen, andere Meinungen zu hören, ohne sie gleich zu entwerten. 

· Hier könnte Raum für künftige Gestaltung frei bleiben – ein Experimentierraum für Wandel, für die nachkommenden Nächsten und für Hinwendung zu Gutem.



[1] Die christliche Profilgemeinde „Die Nächsten“ gründete sich am 31.10.2017 in Potsdam mit dem Ziel, am Ort der ehemaligen Garnisonkirche für Versöhnung und aufrichtige Aufarbeitung der Schrecken dieses Ortes einzutreten ohne den unsäglichen Turmbau. Seither hält die Gemeinde dort Andachten und lädt zu Veranstaltungen ein und mahnt die evangelische Kirche. Der Name „Die Nächsten“ bezieht sich sowohl auf den nächsten Nachbarn als auch auf die kommenden Generationen, denen wir in all unserem Tun verpflichtet und in Verantwortung sind. 

[2] domus autem cives in posterum: Haus der künftigen Bürgerschaft

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